Nachdenklicher Artikel in der taz: „Was wir Juden brauchen, ist Sichtbarkeit und Solidarität in der Zivilgesellschaft.“


 

Es ist gar nicht so leicht, Juden in München zu finden, die offen wie Marian Offman über diese Themen sprechen. „Die verstecken sich“, sagt ein anderer, der sich selbst nie versteckt: Terry Swartzberg. Der gebürtige New Yorker, der bereits seit Mitte der Achtziger in München lebt, wurde bekannt, als er vor sieben Jahren damit begann, auch in der Öffentlichkeit Kippa zu tragen. Er wollte mal sehen, was dann passiert – wie die Reaktionen sein würden, wenn er sich öffentlich als Jude zeigt. „Ich habe damit angefangen, um mich selbst zu beruhigen.“ Und es funktionierte. Keine einzige Beleidigung, keine einzige Pöbelei. „Das ist eine wunderbare Normalität. Kein Mensch schaut hin, kein Mensch interessiert sich dafür.“

Was nicht heißt, dass es nicht auch in München Antisemitismus gibt. Gerade erst hat die neu eingerichtete Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern ihre Zahlen vorgelegt: In den ersten sechs Monaten ihres Bestehens registrierte die Stelle 96 antisemitische Vorfälle, die Dunkelziffer schätzt sie wesentlich höher ein.

„Sie müssen nur auf die Straße gehen und ein Nazi kommt, zieht eine Knarre und schießt Ihnen in den Kopf“
Marian Offman aus München, über Ängste

Nach dem Anschlag in Halle bekam Swartz­berg sofort einen Anruf von seinem Bruder aus den USA: Wo ist Halle? Wie weit ist es von München entfernt? Swartzberg beruhigte ihn erst noch: „Keine Sorge, bei uns wird nicht scharf geschossen.“ Doch die tatsächliche Tragweite des Geschehens sei ihm erst am nächsten Tag bewusst geworden, erzählt er. „Das hat bei mir wahnsinnig viele Fragen aufgeworfen. Fragen, die noch nicht beantwortet sind.“ Zum Beispiel auch diese: „Wie gefährdet bin ich?“ Und erstmals habe er sich auch gefragt, ob es nicht mehr Schutz für alle jüdischen Einrichtungen bräuchte. Eine Situation wie in Halle, wo die Gottesdienstbesucher nur durch eine abgesperrte Holztür geschützt worden seien, dürfe nicht sein. „Dabei vertrete ich ein sehr angstfreies, freudiges Judentum.“

Swartzberg hofft, dass die Politik nun langsam die Gefahr erkenne, die vom Rechtsextremismus ausgehe. „Polizei und Justiz in Deutschland und Bayern waren ja lange blind auf dem rechten Auge, denken wir nur an das Oktoberfestattentat. Jetzt erwarte ich, dass die Neonaziszene richtig bekämpft wird.“

Es sind zwei Dinge, die sich Swartzberg vor allem anderen wünscht: „Was wir brauchen, ist Sichtbarkeit und Solidarität in der Zivilgesellschaft.“ Immer wieder betont er diese beiden Begriffe. „Wir Juden verstecken uns. Und das ist ein Teil des Problems. Wenn Juden sichtbar sind, dann können die Leute uns kennenlernen, dann können wir ein Netz von Solidarität aufbauen. Sonst bleiben wir irgendwas Fremdes.“ Aber die Angst, und vielleicht ist das das eigentlich Erschreckende, sitzt sehr tief. „Natürlich wird diese Angst jetzt noch verständlicher, weil man sagen kann: Schaut doch, was passiert, wenn sie wissen, wo wir sind! Aber langfristig hilft uns nur Sichtbarkeit und Solidarität.“

Für zweiteres seien dann natürlich die Nichtjuden verantwortlich. „Ich hoffe, dass die Zivilgesellschaft jetzt wachgerüttelt ist.“ Und: Er wolle nichts verharmlosen, und natürlich wisse er, dass laut Umfragen bis zu 16 Prozent aller Deutschen Antisemiten sind. „Aber das heißt doch auch, dass uns mindestens 84 Prozent tolerieren oder mögen. Und die müssen wir mobilisieren.“

Terry Swartzberg jedenfalls bleibt zuversichtlich. Seine Kippa werde er nicht absetzen. „Ich weiß nicht, ob es unsere größte Idio­tie oder unsere größte Stärke ist, aber: Wenn wir nicht optimistisch wären, wären wir keine Juden.“

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